Urban Dance Szene an der Waterkant – „Jetzt wächst die Community zusammen.“
Ich trete in den kleinen Veranstaltungsraum des Hamburger Trockendocks, eine Stunde nachdem laut Flyer das Battle begonnen hat. Der Raum ist schon jetzt bis oben mit Leuten gefüllt, sodass da drin gefühlte 45°C herrschen. Ich finde auf die Schnelle nur einen Platz genau vor dem Lautsprecher, was mein Trommelfell ganz schön auf die Probe stellt. Gerade läuft die House Preselection. Vogueing hab ich leider schon verpasst, weil es „so wenige Teilnehmer gab“, meint der große Typ neben mir. Die Leute schauen konzentriert zu, nicken mit dem Kopf oder tanzen an der Seite, um zu üben oder weil sie den Beat feiern. Im Grunde sind alle Urban Tänzer aus der Hamburger Szene am Start – entweder als Zuschauer, Teilnehmer oder in der Jury. Insgesamt sind es bestimmt 120 Leute, die auch aus dem Umland oder vereinzelt aus NRW und Berlin angereist sind.
Ende November fand in Hamburg zum ersten Mal das Battle Urban United statt, organisiert von den beiden Tänzerinnen Maike und Maren. So voll, wie der Raum war, hat Hamburgs Szene scheinbar nur auf ein neues Battle gewartet. Dabei konnten die Veranstalter nicht einmal mit Preisgeld locken. Alles sieht nach einer sehr lebendigen Tänzerlandschaft aus. Der Großstadt im Norden wird aber immer noch nachgesagt, keine ausgeprägte Urban Dance Szene und damit auch zu wenig Battle-Kultur zu haben.
„Ist doch ganz klar, die Szene ist eine ganz andere.“
Sugar Rae aus Aachen gibt heute einen Workshop in der Hip Hop Academy in Hamburg und kommentiert die Szene mit einem Augenzwinkern. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass es kein Locking in Hamburg gibt, obwohl die Stadt so groß ist und so viel Soul hat. Dagegen muss etwas unternommen werden. Ich freue mich, endlich wieder in der City zu sein und glaube, es wird, wie der junge Hamburger sagt, ‚übelst deeerbe Digger’“, schreibt der Funkin’ Stylez-Gewinner auf seinem Profil bei Facebook.
IGI-Man von Alienfam aus Lübeck, mit dem ich beim Urban United Battle gesprochen habe, meint: „Ist doch ganz klar, die Szene ist eine ganz andere. Hier im Norden spielen sie alle Fussball und zum Beispiel in NRW tanzen sie alle. Und das Angebot ist auch nur so groß wie die Nachfrage.“
Auch die Umfrage, die keepondancin auf der Facebook-Fanseite gestartet hat, ergab ein leicht ernüchterndes Ergebnis. Ernüchternd nicht nur, weil insgesamt unglaubliche neun Personen teilgenommen haben, sondern weil nur die Antworten „Hamburg ist’ne große Stadt mit guten Tänzer, aber die großen Battles fehlen“ oder sogar „Hamburg muss noch viel lernen“ angeklickt wurden. Erwähnenswert sind diese neun Stimmen trotzdem, weil unter den Umfrageteilnehmern immerhin Tänzer waren, die in ganz Deutschland bekannt sind (Prince und Aldo) und auch welche aus Hamburg und Umgebung (Jo-l, Felix von Deine Lieblingsbreaker etc.).
Selbst Urban United-Organisatorin Maren meint, das Verhältnis zwischen Anzahl der Tänzer und Battles würde noch nicht stimmen. „Es gibt viele Tänzer, offene Trainings und in den Jugendzentren passiert viel. Ich hab auch eigentlich das Gefühl, die Szene kennt sich“, sagt sie in einem Gespräch direkt nach dem erfolgreichen Battle, „Die Tänzer in Hamburg müssen aber noch ein bisschen besser zusammenarbeiten, um mehr auf die Beine zu stellen.“
Alles deutet erstmal darauf hin, dass Hamburg noch nicht ganz da ist, wo man es aufgrund der Größe erwarten könnte. Um herauszufinden, ob das wirklich so ist und wie sich die Szene derzeit entwickelt, hat keepondancin mit Metin von Elbcoast Entertainment gesprochen, der das größte norddeutsche Battle Elbcoast Underground in Hamburg veranstaltet. Metin hat 1994 mit dem Breaken angefangen und deshalb die Tänzerszene Hamburgs von Anfang an miterlebt.
„Jetzt wächst die Community mehr und mehr zusammen.“
Unser Gespräch beginnt interessanterweise damit, dass Metin weitere Battles gar nicht für sinnvoll hält. „Es gibt so sechs, sieben Battles über das Jahr verteilt in Hamburg. Das ist schon gut. Ich denke, wir brauchen eher wenige gute Termine, damit Tänzer von außerhalb kommen, als jeden Monat zu battlen und alle langweilen sich irgendwann“, meint er. Battles sollen also nicht wie Pilze aus dem Boden schießen, sondern lieber öfter gut organisiert sein und ein Niveau haben, das den anderen Städten in nichts nachsteht.
Der Grundstein für diese Vision wird gerade in der Szene selbst gelegt. Seit ungefähr drei Jahren erlebt Hamburg einen richtigen Aufschwung und tanzen wird zum Urban Lifestyle im Norden. Metin erklärt keepondancin die Entwicklung: „In den Neunzigern begann alles mit Breaking. Die anderen Tanzarten kamen dazu, aber es herrschte immer eine Art Konkurrenzkampf. Jetzt wächst die Community mehr und mehr zusammen. Die Tänzer fordern geschlossen mehr Freestyle-Trainings, Workshops und Battles.“ Nicht mehr nur Institutionen wie Jugendzentren, Elbcoast Entertainment oder die Hip Hop Academy pushen die Szene, die Tänzer selbst sind die neue Institution. Zum Beispiel haben sich vor kurzem zwischen 30 und 40 Hamburger Tänzer zu HH-CITY DIGGA!!! zusammengeschlossen und representen so auf den Battles in Deutschland und co.
Hamburgs Szene mag tatsächlich noch nicht ganz so groß sein wie in vielen anderen Ecken des Landes, aber es passiert gerade wahnsinnig viel. Tänzer, Tanzschulen und Jugendzentren ziehen an einem Strang. So können aus den kleinen Battles der Stadt schnell größere Formate mit internationalen Judges und allen wichtigen Vertretern aus Deutschland werden. Um Events wie Workshops oder Battles zu realisieren und die Szene damit zu pushen, fehlt Hamburg jetzt nur noch ein wichtiger Unterstützer. Zumindest sieht Metin das so: „Wenn wir bei Elbcoast mal ohne Jugendzentren Events organisieren wollen, wird man nicht von der Stadt unterstützt. Ich wünsche mir, dass sich da was ändert, denn das Werben um Sponsoren ist ziemlich anstrengend und zeitaufwendig.“
Hamburg ist also viel mehr am Start als gedacht und als hätte die Stadt es geahnt, dass ich so einen Artikel schreibe, habe ich bei Facebook vor ein paar Tagen eine Einladung zum letzten Hamburger Battle dieses Jahres bekommen. Am 18.12. findet in der Hip Hop Academy das Battlefield statt und bestimmt ist wieder die ganze Hamburger Tänzerszene dabei, um noch mehr zu wachsen. Besser kann unser Name nicht passen: keepondancin, Hamburg!!!
Veröffentlicht am 10/12/2011 in Backstage und mit B-Boy, Battle, Battles, Breakdance, Dance, Elbcoast, Hamburg, Hip Hop, Metin Demirdere, News, Sugar Rae, Urban Dance, Workshop getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 2 Kommentare.
Trauriger Artikel eine Szene an Hand eines Battles zu bewerten trauriger zug
@battlebuddah
Thx für deinen Kommentar, aber das hast du falsch verstanden. Das Battle ist nur der szenische Einstieg und dann kommen ja noch mehr Stimmen. Erst von außen und dann von Metin, der erklärt, wie viel sich gerade formt in der Stadt. Also lösen sich die Vorurteile vom Anfang ja wieder auf. Eigentlich nicht traurig, sondern eine Lehre für alle, die immernoch anders von Hamburg denken.